Mit einem „normalen“ E-Bike kommt man Berge leichter hinauf. Aber wie kommt man danach wieder sicher runter? Das Bremsen bzw. die richtige Bremstechnik mit dem E-Bike ist nicht nur am Berg von Bedeutung. Sie ist auch im Straßenverkehr überlebenswichtig. Es lohnt sich in jedem Fall, die Profi-Techniken der eMTB-Experten anzuschauen, selbst wenn man nur ein Trekking-Rad oder ein „SUV“ hat. Aber man sollte eigene Routinen mit seinem Rad entwickeln und laufend üben!
Bitte beachten: Dieser Beitrag verwendet (auch) externe Videoinhalte
Als Besitzer eines KTM 271 LFC nutze ich ein sog. „SUV“-E-Bike. Das heißt deshalb so, weil es wie ein SUV-Auto quasi hybrid genutzt werden kann: Im Gelände, am Berg als auch im normalen Alltagsbetrieb. Und genau so nutze ich es auch. In 2020 habe ich mehrere Dutzend Berg- und Geländetouren gemacht und laut „E-Bike-connect“ von Bosch allein im Dezember 2020 mehr als 13.000 Höhenmeter bei über 500 km Fahrtleistung überwunden. Das heißt: Ich bin diese Höhenmeter nicht nur rauf, sondern auch runter gefahren – und das heißt „viel Bremsen“. Seit August sind so immerhin zwei Paar Bremsbeläge durchgearbeitet worden. Das dritte Paar wartet schon auf den Einbau – aber in Zeiten des Lockdown werde ich das erstmals selbst versuchen, denn die Händler meines Vertrauens (Marios Radservice in Aschau und D74 in Marquardtstein) haben aktuell geschlossen.
Gerade im Winter bei Schnee und Eis habe ich nochmal besonders gemerkt, wie wichtig das „richtige“ Bremsen ist. Und daher schaue ich mir regelmäßig Videos an, wie die eMTB-Profis bremsen.
- Eines dieser Videos stammt von Marc Brodesser von fahrtechnik.tv. Ich habe es mal hier eingebunden, um im Nachgang zu verdeutlichen, wo im Hinblick auf eMTB und SUV Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen.
- Ein zweites Video habe ich in Aschau aufgenommen als Happy Trails ein Fahrsicherheitstrainig durchgeführt hat
- Das dritte Video von MC LIMITED EDITION zeigt ein Problem, das man nicht unterschätzen sollte: Glühende Bremsscheiben bei hohen Geschwindigkeiten bergab.
- Das vierte Video stammt wieder von mir: Heiße Bremsen im Winter bei der Abfahrt von der Kampenwand.
- Das fünfte Video habe ich nachgedreht: Es skizziert den kritischen Bremsverlauf einer Tour am 2. Dezember (siehe auch der „wahre Ernstfall“ unten im Text).
Jetzt erst einmal die Videos anschauen!
Was „normale“ E-Biker beachten sollten
Das Problem, das sich bei den Videos offenbart, ist nicht auf den ersten Blick erkennbar:
- Die hier dargestellte Herausforderung des richtigen Bremsens gilt grds. für jeden E-Biker und eben nicht nur für eMTB-Fahrer! Erst recht, wenn man mit dem normalen E-Bike auf Berge fährt.
- So ist mir vor wenigen Wochen oberhalb der Maisalm ein E-Biker mit einem handelsüblichen, eher einfachen E-Bike begegnet. Die Vorstellung, dass dieser Mann mit seinem „einfachen“ E-Bike anschließend den Lochgraben hinunter nach Aschau fährt, war unangenehm.
- Das sind immerhin 300-400 Höhenmeter Differenz – auf nur etwas mehr als 2 km Streckenlänge, darunter auch recht steile Abschnitte, an denen man entweder dauerbremsen muss, um nicht zu schnell zu beschleunigen, oder man beschleunigt, und muss dann mit aller Kraft wieder das E-Bike abbremsen.
Das „normale“ E-Bike verführt offenbar manchen dazu, es auch am Berg nutzen, weil man leichter hinauf kommt. Ich habe dafür grds. absolutes Verständnis, denn mein SUV wird auch überwiegend wie ein eMTB genutzt. Es besitzt aber auch entsprechende Bremsen.
Was jedoch nicht mitliefert wird, ist die richtige Bremstechnik für die Fahrer*innen. Interessanter Weise gibt es im Internet kaum Anleitungen für das Bremsen mit normalen E-Bikes – auch nicht am Berg. Oder: Vielleicht finde ich sie einfach nur nicht.
Lernen von eMTB-Bremstechnik?!
Zunächst sollte man sich die baulichen Unterschiede der verschiedenen Fahrrad-Typen vor Augen führen, bevor man die Unterschiede beim Bremsen betont.
- eMTB verfügen häufig über starke 4-Kolben-Bremsen,
- zudem haben sie häufig absenkbare Sattelstützen mit einem schmalen Sattel,
- sie besitzen keine Gepäckträger oder Zusätze wie Travel-Bags,
- auch sind eMTB in der Regel leichter als andere E-Bikes.
Alle diese Faktoren haben Einfluß auf die Art, wie die richtige Bremstechnik für eMTB in vielen Videos dargestellt wird. So wird gerade die Gewichtsverlagerung nach hinten besonders leicht umsetzbar, wenn man die Sattelstütze rasch absenken kann und sich nur noch das Hinterrad unter dem eigenen Hinterteil befindet. Wer ein E-SUV oder ein Trekking-E-Bike besitzt, hat diesen Vorteil nicht. Hier ist es viel schwieriger, das Gewicht nach hinten zu verlagern oder das Hinterrad beim Bremsen nach oben zu heben. Umgekehrt ist es so, dass die Bremsen (bergab) viel schneller erhitzen. Das liegt sowohl am höheren Gewicht als auch den einfacheren Bremsen.
Bremsen mit dem SUV
Aufgrund der Unterschiede habe ich mehr oder weniger in Eigenregie meine eigenen „Bremstechniken“ für ein SUV wie das KTM 271 LFC entwickelt. Diese wurden zunächst im Sommer, dann im Herbst und im Winter sukzessive verprobt und optimiert:
- Nahezu jeden Tag mache ich eine „Ziel-Bremsung“, d.h. dass ich mir ca. 15-20 km/h auf einen bestimmten Gegenstand zu fahre und im letzten Moment so bremse, dass zwischen dem Vorderrad und dem Ziel nur etwa 10 Zentimeter Abstand sind. Durch ständiges Wiederholen dieser Übung entwickelt man ein immer besseres Gefühl für das eigene Bike und sein Bremsverhalten.
- In regelmäßigen Abständen übe ich das Fahren von „Schlangenlinien“ auf einem Parkplatz, wobei die Parkmarkierungen „virtuelle“ Gegenstände darstellen, die man möglichst ohne Bremsen umfährt. Der geübte Wechsel von „Nicht-Bremsen“ und „Bremsen“ ist auch ein Erfolgsfaktor für den sicheren Umgang mit einem SUV, weil man so ein Gefühl für das Verhalten des SUV bei Gewichtsverlagerungen und Schlingerfahrten bekommt, bei dem sich im Ernstfall Bremsen und Bremslockerung rasch abwechseln. Welche Relevanz dies besitzen kann, werde ich gleich noch erläutern.
- Wichtig ist das Üben des Bremsens bergab bei Geschwindigkeit. Dabei ist das zuvor schon kurz angedeutete Prinzip der „Stotterbremse“ besonders wichtig. Dazu nutzte ich regelmäßig den Schloßberg von Hohenaschau, dessen Abfahrt mit 70m Höhenunterschied durchaus tückisch ist (wie ich gleich noch beschreiben werde).
- Bei längeren Bergabfahrten und insbesondere im Winter bei Abfahrten stelle ich den Sattel per Hand auf die niedrigste Sitzposition, so dass die für eMTB empfohlene Gewichtsverlagerung mit einem „normalen“ SUV-Sattel zumindest ansatzweise gelingt.
- So banal es klingt: Üben, üben, üben – in allen Fahrt- und Lebenslagen: Auf meiner kurzen hügeligen „Stammstrecke„, die ich ca. 2-3x pro Woche fahre, geht es in erster Linie darum, das Rad „im Schlaf“ zu beherrschen. Dazu zählen Nachtfahrten mit kurzen Reaktionswegen genauso wie regelmäßige Bremsübungen auf unterschiedlichen Wegen, im Gelände sowie im Winter im Schnee als auch auf glatten Flächen.
Das regelmäßige Üben ist nicht nur wichtig für den Ernstfall, den ich gleich noch beschreiben werde. Es ist auch im Sinne eines kontinuierlichen Fortschritts eine positive Aktivität: Je mehr man übt, desto sicherer fühlt man sich auch. Das führt zwar einerseits auch dazu, das man laufend etwas mehr wagt, es führt aber vor allem dazu, das man sein E-Bike und seine Tücken und individuellen Eigenschaften tatsächlich immer besser kennenlernt und damit zu beherrschen lernt.
Der wahre Ernstfall
Den ersten und bislang einzigen „Ernstfall“, in dem sich all diese monatelangen kleinen Bremsübungen auszahlten, erlebte ich Mitte Dezember. Ich will diesen Fall kurz beschreiben, denn es war auch für mich nach über 2.000 E-Bike-Kilometern die erste heftige und völlig unerwartete Bewährungsprobe in sehr brenzliger Situation. Das Ganze ist durch die Bosch-Nyon- bzw. eBike-Connect-Aufzeichnungen auch gut dokumentiert, zudem habe ich ein Video nachgestellt und der Videogalerie oben beigefügt (s.o.):
- Am 2. Dezember, kurz nach 17 Uhr, fuhr ich den Aschauer-Schloßberg mit ca. 30 km/h bei feuchter Witterung hinunter. Die Strecke ist fast nie befahren. Es geht auf einigen hundert Metern 70 Höhenmeter bergab. Das Gefälle auf der Strecke beträgt an den steilsten Stellen knapp 20%.
- In einer Rechtskurve am Ende der Gefällestrecke kommt mir auf der schmalen Strecke (ca. 2,5 m) ein Fahrzeug entgegen. Ich muss in der Rechtskurve bei ca. 30 km/h und 15% Gefälle bremsen.
- Das Kritische daran: Man muss bremsen und weiterhin lenken bzw. auf der Spur bleiben. Geradeaus bremsen geht nicht, weil man dann mit dem Gegenüber unweigerlich kollidiert. Aufgrund der feuchten Strecke ist der Bremsweg auch potenziell zu lang und rutschig, so dass bei zu starkem Bremsvorgang ein Zusammenstoß nahezu unvermeidlich ist.
- Die Lösung in diesem Fall war ein kontrolliertes „Stotterbremsen“, das Bremsen und Lenken gleichzeitig ermöglicht. Die erste Bremsung reduzierte die Geschwindigkeit von 29 auf 23, dann auf 18 und schließlich auf 12 km/h. So fuhr ich vergleichsweise Sicher weiter um die Kurve.
Das skizzierte Problem hätte ich übrigens kaum ohne E-Bike gehabt, weil ich mit dem normalen Rad die Jahre davor kaum einmal „zum Spaß“ zur Burg hinaufgefahren bin. Umgekehrt haben sich in dieser Situation die unzähligen kleinen Übungen davor ausgezahlt, denn das Ganze geschah in Sekundenbruchteilen, in denen man nur dann „instinktiv“ richtig reagiert, wenn man entsprechende Fälle vorab immer wieder übt.
Die rot markierten Stellen des Bilds zeigen was am 2. Dezember passierte. Die beiden Bereiche markieren die Örtlichkeit und die Geschwindigkeit an dieser Position: Das obere Bild zeigt, wo mir in einer unübersichtlichen Rechtskurve ein Fahrzeug in der Mitte der schmalen Auffahrt zur Aschauer Burg entgegenkam. Eine brenzliche Situation, die bei der Kombi von „nur“ 30 km/h, 15% Gefälle, feuchtem Boden und Kurve nur durch das Prinzip der „Stotterbremse“ gemeistert werden konnte. Das untere Bild zeigt die Höhenmeter (dunkelblau) und die Geschwindigkeit (hellblau). Im roten Bereich fiel die Geschwindigkeit innerhalb weniger Sekunden.