Starke chronische Schmerzen können die Sehnsucht nach Erfolgserlebnissen fördern. Um diese zu erzielen, muss man mitunter weitere Schmerzen in Kauf nehmen. Dann heißt es: Schmerz versus Erfolgserlebnis. Wer den Schmerz in Kauf nimmt, kann am Ende auch Schmerzen lindern.
Der Tag beginnt in der Notaufnahme
Es gibt Tage, die sind stellvertretend für das gesamte Leben: Der heutige Tag ist so einer! Um 6.45 Uhr stand ich auf, und um 7.15 Uhr liege ich zur Untersuchung in der Notaufnahme des RoMed-KKH in Prien. Nicht ohne Grund:
- Seit mehreren Wochen plagen mich intensive Oberbauch-Schmerzen. Etwa da wo die Leber ist.
- Hinzu kommen chronische Schmerzen der rechten Schulter: Den rechten Arm kann ich seit der Schlüsselbein-OP nach wie vor kaum wirklich bewegen.
- Nachts halten mich die Schmerzen von Bauch und Schulter auf Trab, fast jedes Drehen im Bett macht einen wach.
- Der Versuch, in Berlin einen Arzt zu finden, der mich untersucht, ging zwischen Mittwoch und Freitag gleich mehrfach schief …
- Mein Berliner Hausarzt war Mittwoch bis Freitag krank und …
- … der Entschluss, es am Donnerstag am späten Nachmittag in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses zu probieren, ging mächtig in die Hose … so ein Chaos habe ich noch nie gesehen. Details erspare ich mir. Einzig ein Eindruck blieb zurück: Wer hier arbeitet, leistet Übermenschliches.
- Kurzentschlossen fuhr ich Freitag Abend nach Aschau, um es nach 5 Stunden Schlaf in der Priener Notaufnahme zu versuchen. Dort ist es nicht so chaotisch, und noch viel wichtiger: Dort kennt man meine Krankenhistorie genau.
Der Besuch in der Notaufnahme erfolgte nicht ohne tieferen Grund, denn meine Krankenhistorie ist lang und komplex, und mein Schmerzgedächtnis schlägt bei länger anhaltenden starken Oberbauchschmerzen sofort Alarm – es gilt, bereits Erlebtes Ernst zu nehmen:
- Sind es eventuell wieder Zysten bzw. Fisteln?
- Ist die Leber noch ok?
- Liegt es an der Galle, die nicht mehr da ist?
- Ist das Herniengitter evtl. das Problem?
Egal welche Variante: Ein Arzt muss das untersuchen, denn ohne Gewissheit leidet auch die Psyche: Sie sucht nach Gründen, und man findet im Zweifel solche, die einen beunruhigen können … Umgekehrt will man nicht wegen jedem Zipperlein zum Arzt, selbst dann, wenn es Grund zur Prüfung gibt.
Den Kreislauf irgendwie durchbrechen
Ist man erst einmal über mehrere Wochen hinweg von den Schmerzen und der Ungewissheit weichgekocht worden, entsteht wie von selbst eine unstillbare Sehnsucht nach einem Erfolgserlebnis. Im Kern geht es nämlich gar nicht um den Schmerz als solchen: Schmerz kann man aushalten, selbst dann wenn er biestig stark ist.
Die Frage ist, wie man den Schmerz in tief innerlich interpretiert:
- Ist er „bedrohlich“ (z.B. im Hinblick auf einen Tumor oder ähnlichem)?
- Ist er nur „lästig“, da er zwar nervt, aber keine gravierenden Ursachen hat?
- Woran macht man das eine oder andere fest, wenn nicht am bereits Er -und z.T. auch Durchlebten?
Für mich kam beides in Betracht: Der Bauchschmerz erinnerte stark an die postoperativen Zysten – das wiederum war und ist mit das fieseste, was ich über die letzten Jahre erlebt habe. Gleich zweimal nacheinander. Das ging auf die Psyche – aber richtig! Vorstellbar – und wohl auch wahrscheinlich – es ist allerdings eher das Hernienkissen, das an einer Stelle „zwickt“ – um bewußt etwas zu untertreiben. Solche Fälle kommen leider nicht selten vor. Und die Schmerzen gehen oft auch nicht mehr weg. Ok, tut weh, ist aber meiner Meinung nach noch „verschmerzbar“ (Achtung Wortspiel!).
Sofort will man wissen: Wie fit bin ich noch?
Die Untersuchung in Prien (gewohnt kompetent und freundlich) ergab zwar keine Klarheit, aber es gab auch keinen Anlass, Schlimmeres zu vermuten. Auf genau dieses Signal hatte ich gewartet:
- Wenn es nichts erkennbar Schlimmes ist, dann kann der Schmerz noch so groß sein – er ist mir egal!
- Im Gegenteil: Auch wenn der rechte Arm bzw. die Schulter ganz gut wehtut – jetzt will ich sofort aufs E-Bike und wissen, was geht.
- Ich will ein Erfolgserlebnis – ohne zu Wissen, ob es eines wird, und egal, ob mir grad an mehreren Stellen irgendetwas wehtut.
- Der Grund ist klar: Die Seele droht auch krank zu werden, dem gilt es vorzubeugen – und dafür körperlichen Schmerz in Kauf zu nehmen.
Um den Kreislauf zu durchbrechen, holte ich mein E-Bike aus dem Keller. Ich hatte es in den zwei Wochen zuvor in Berlin nicht nutzen können. Das heutige Ziel war klar: Geh heute an deine Grenzen! Auch wenn es wehtut. Finde heraus, wie fit Du wirklich bist. Versuche, Dir ein Erfolgserlebnis zu verschaffen – selbst dann, wenn der Schuss auch nach hinten losgehen könnte. Ignoriere jeden körperlichen Schmerz der kommt, um seelische Schmerzen zu heilen. Und: Überwinde dabei auch die unterschwellige Angst, die Du seit dem Sturz mit dem E-Bike im Juli hattest!
Das Ergebnis: Fit wie ein Turnschuh!
Mir war klar, was das bedeutet: Suche den Benchmark für die eigene Fitness! Erst Stammstrecke, dann die Steigung bei Bach/Wald. Finde heraus, was geht! Egal wie sehr die Schulter und der Bauch schmerzen. Gesagt getan:
- Ich schwang mit aufs E-Bike, bereits beim Aufsteigen war klar – es „zwickt“ an Bauch und Schulter.
- Zunächst fuhr ich die Stammstrecke Richtung Süden – alles klappte sehr gut: Ich scheine doch ganz gut in Form zu sein.
- Dann weiter zum Härtetest nach Bach/Wald: Dreimal nacheinander die steile Strecke rauf und runter – ohne Absteigen. Super.
- Und dann: Zurück über die Stammstrecke Richtung Norden – auch ohne Absteigen, obwohl die Strecke in einem Sau-Zustand ist (viele Äste und tiefe Regenfurchen). Das gab es das letzte Mal irgendwann im Winter noch vor der Hernien-OP.
Wow! Krass! Ich bin offenbar so fit wie es maximal geht – ich war nie in besserer E-Bike-Form in den letzten Jahren. Und das sogar trotz eingeschränkter Beweglichkeit des rechten Arms. Toll! Aber die chronisch-starken (Bauch-)Schmerzen haben mir über Wochen etwas völlig anderes suggeriert. Ich wähnte ich mich (nicht ohne Grund) kranker als ich bin.
Und die Moral von der Geschicht‘: Fürchte Deine Schmerzen nicht!
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin offenbar nicht wirklich gesund, denn postoperative Probleme bei Hernien-OP und Schlüsselbein-OP können ziemlich fies sein – die wochenlangen Schmerzen können einen lähmen und zermürben. Kann man jedoch gravierendere Ursachen ausschließen – und danach sieht es heute aus – kann man die Schmerzen auch ignorieren. Dadurch wiederum kann man feststellen, dass man auch ziemlich, ziemlich fit ist. Auf diese Erkenntnis bin ich rückblickend sogar besonders stolz (was nicht oft vorkommt), denn Schmerz tatsächlich zu ignorieren und dies in positive Energie umzuwandeln ist leichter gesagt als getan.
Mitunter hat man leider keine Wahl ob man Schmerzen hat oder nicht: Doch die Inkaufnahme und Ignoranz „nickliger“ Bauch- und Schulterschmerzen half dabei, die sich anbahnenden psychischen Schmerzen zu „heilen“. Meiner Seele tat das Ganze maximal gut. Fazit: Die Akzeptanz von Schmerz an der einen Stelle half, den Schmerz an anderer Stelle in Form eines Erfolgserlebnisses zu überwinden. Ich würde und werde es wohl auch in Zukunft immer wieder genauso machen. Noch lieber wäre mir allerdings, gar keine Schmerzen zu haben – es bleibt wohl eher ein Traum.
Die verrückten Bilder ein und des gleichen Tages: Morgens Notaufnahme. Dann Bayerische Trachtenhochzeit (von hinten). Bilder von der Stammstrecke nach dem Absolvieren des sehr erfolgreich verlaufenden „Fitnesstests“: Stammstrecke hin und zurück ohne Absteigen und zusätzlich dreimal Bach/Wald ohne Absteigen hintereinander … mein persönlicher Rekord. Und das mit Schmerzen in Schulter und Bauch. Danach dachte ich mir: „Eigentlich bin ich doch irgendwie eine coole alte Socke ;-)“.
p.s.: Ein früher Höhepunkt des Tages … Frau Dr. bescheinigt dem 57-jährigen Patient einen „schlanken Ernährungszustand“. Danke :-)! Trifft vermutlich auch zu, allerdings bin ich in den gefühlt 100 Arztbriefen der letzten Jahre noch nie so „wohlklingend“ beurteilt worden ;-).