Quelle: UDV-Studie
Auf dieses Studie hatte ich lange gewartet: Versicherungen haben das Unfallrisiko mit E-Bikes systematisch untersucht. Das Ergebnis belegt, dass E-Bikes nicht gefährlicher sind als Fahrräder – zumindest für die meisten Nutzergruppen und Nutzungsszenarien.
Gefährlich? Gefährlicher? Ungefährlich?
In diesem Blog versuche ich speziell in den Bereichen E-Bike und Gesundheit immer wieder herauszufinden, ob und wieweit E-Bikes gefährlicher oder vielleicht sogar ungefährlicher sind als normale Fahrräder. Interessanterweise gibt es hier potenziell mehrere Perspektiven, die jeweils zu mehr oder weniger unterschiedlichen Ergebnissen führen:
- Man kann die absoulte Anzahl der Unfälle mit E-Bikes isoliert betrachten. Dann stellt man fest, dass diese Zahl in den letzten Jahren massiv gestiegen ist.
- Darüber hinaus kann man die Anzahl der Unfälle in Relation zur Verkaufszahl sowie zum gestiegenen Marktanteil von E-Bikes setzen. Schon wird die hohe Zahl relativiert, denn der Anteil der E-Bikes an den verkauften Fahrrädern nimmt laufend zu (auch in 2022 wie diese Prognose der Fahrradwirtschaft zeigt).
- Schließlich kann man noch die Fahrleistung je Fahrradtyp mit hinzuziehen und damit noch einmal die Anzahl der Unfälle relativieren. So hat es die UDV (Unfallforschung der Versicherer) in einer im Sommer 2022 veröffentlichten Studie gemacht.
An dieser Stelle soll das hier veröffentlichte Gutachten inhaltlich nicht vorweggenommen werden. Im Detail sollten sich Interessenten selbst ein Bild von der Methode und den Ergebnissen machen. Was für mich wichtig war bzw. ist: Es ging mir um den „gefühlten“ Vergleich der eigenen E-Bike-Einschätzung im Verhältnis zu objektivierbaren Zahlen. Und beides liegt offenbar gut beeinander:
- In verschiedenen Beiträgen stellte ich die These auf, dass das E-Bike insgesamt nur bedingt gefährlicher ist als das „normale“ Fahrrad.
- Natürlich konnte ich mir im Hinblick auf diese Einschätzung nicht wirklich sicher sein, aber sie stützte sich auf eben jene Aspekte, die nun auch in dem UDV-Gutachten als relevant erachtet wurden.
- Insbesondere die prozentuale Absatzsteigerung in Kombination mit einer bei vielen E-Biker*Innen erhöhten Fahrleistung gegenüber dem Fahrrad relativieren die Anzahl der E-Bike-Unfälle – sie liegen im statistischen Durchnitt.
- Das gilt interessanter Weise laut UDV-Gutachten nicht für die ganz jungen Nutzer*Innen: Für sie scheint das E-Bike eine gesteigerte Gefahrenquelle zu sein.
Mein Zwischenfazit: Ja, aber … vorsicht bergab!
Selbst das Gutachten der UDV läßt m.E. einen Aspekt etwas unbeleuchtet, auf den ich vor kurzem über einen Beitrag des ORF gestolpert bin (und zu dem ich auch einen kurzen Beitrag verfaßt habe): Tatsächlich könnten E-Bikes vor allem in den Bergen für eine Zunahme von Unfällen bei Bergabfahrten führen, was in Anbetracht der hohen flächendeckenden Anzahl von Unfällen oft nicht weiter analysiert wird.
Gerade weil ich erst gestern knapp 800 Höhenmeter rauf und runter zurück gelegt habe:
- Bergauffahren ist Dank eines E-Bike selbst für ungeübte Fahrer*Innen kein Hexenwerk mehr.
- Auch über 1.000 Höhenmeter können z.B. mit einem SUV locker bergauf geschafft werden: Sowohl der Motor als auch der Akku geben das her – leider auch bei weniger bergtauglichen E-Tourenrädern.
- Nichts desto trotz strengt auch eine Uphillfahrt mit dem E-Bike an … was bergab in vielen Fällen geringere Konzentration und Kraftreserven zur Folge hat.
- Besonders unangenehm … Die Hände und Handgelenke werden bergab wesentlich stärker belastet:
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- Durch das deutlich höhere Gewicht, das auf dem Oberkörper lastet.
- Durch das angespannte Umfassen und Aktivieren der Bremsgriffe.
- Was in Kombination (auch mit der zuvor genannten mehr oder weniger leichten Erschöpfung) das kontrollierte Bremsen immer mehr erschwert, je weiter man bergab fährt.
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- Weitere Faktoren bei Bergabfahrten:
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- Nicht jedes E-Bike, mit dem man bergauf kommt, hat die für eine Bergabfahrt zu empfehlenden Vierkolben-Bremsen, die ein beschleunigtes E-Bike „mit Ihrem Biss“ zum raschen Anhalten zwingen können.
- Selbst Vierkolben-Bremsen laufen bergab schnell heiß und können dadurch unverhofft massiv an Leistung einbüßen – vor allem beim minutenlangen „Dauerbremsen“ vieler ungeübter E-Biker*Innen.
- Das E-Bike hat darüber hinaus ein erhöhtes Gewicht, was sich bergab schnell durch eine relative Zunahme der Geschwindigkeit gegenüber normalen Fahrrädern oder MTBs bemerkbar macht.
- „Überbremsen“ durch ungeübtes Zusammenspiel von Vorder- und Hinterradbremse kann zum Blockieren der Räder führen.
- Schließlich erfolgen gerade die längeren Bergabfahren häufig auf Feld- oder Waldwegen auf denen eine erhöhte Rutschgefahr aufgrund loser Böden, einzelner Steine, Laub oder Äste besteht.
- In den Alpen kommen regelmäßig kurvige Wege mit seitlichen Steilhängen hinzu, die verhindern, dass man eine weite Sicht hat und daher viel reaktionsschneller bergab fahren muss als bei gerader Strecke.
- Last not least kann man in den Bergen schnell von Wetterwechseln überrascht werden, was beim Bergabfahren und regennassen Bremsen nicht nur zum Quitschen der Bremsen, sondern auch zu signifikantem Bremskraftverlust durch verringerte Reibung führen kann – und da man meist nicht nass werden will, fährt man gerade dann möglichst schnell.
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Insofern meine Gesamteinschätzung
Auf Basis der gestrigen Tour, die zudem noch bei Schnee erfolgte, bin ich erneut zum Ergebnis gekommen, dass die Studie zwar insgesamt recht hat. Ja, es ist damit auch eine gute Nachricht: E-Bikes sind grds. nicht gefährlicher als normale Fahrräder.
Diese Aussage kann aber auch mißverstanden werden: Die Gefährlichkeit eines E-Bikes ist m.E. vor allem im Kontext der Benutzungsart zu beurteilen. Für die These, dass E-Bikes im Gebirge für die meisten Nutzer*Innen deutlich gefährlicher sind als ein „normales Rad“, spricht allein schon die Tatsache, dass die allermeisten Menschen mit einem „normalen Rad“ gar nicht erst den Berg hinaufkommen, weshalb sie beim Bergabfahren auch kaum als Unfallopfer ins Gewicht fallen.